Verhandlungsführung: So schützt das Vier-Augen-Prinzip Geschäftsführer vor unbegrenzter Haftung
In diesem Beitrag informiere ich Sie darüber, wie das sogenannte Vier-Augen-Prinzip Sie als Geschäftsführer während einer schwierigen Verhandlung grundsätzlich vor einer unbegrenzten Haftung schützt. Denn seit dem Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 30.03.2022 sind die Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH in Bezug auf die interne Unternehmensorganisation nochmal deutlich strenger geworden. Und Sie werden lesen, dass dem Geschäftsführer während einer Verhandlungsführung mehr Rollen zugedacht werden als zunächst angenommen.
Anlass für diesen Beitrag ist die persönliche Haftung eines Geschäftsführers (die D&O-Versicherung hat die Einstandspflicht abgelehnt) in Höhe von ca. EUR 789.000. Das Gericht begründet die Haftung damit, dass der Geschäftsführer einen Mitarbeiter, der seine Kompetenzen überschritten hat, nicht ausreichend überwacht hat. Das Unternehmen hatte – neben dem Geschäftsführer – insgesamt 13 Mitarbeiter.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg (kurz „OLG“) v. 30.03.2022 (Az. 12 U 1520/19) präzisiert in allgemeingültiger Weise die Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH in Bezug auf die interne Unternehmensorganisation. In der Praxis wird das Urteil zu Recht als wegweisend beurteilt. So formulieren z.B. die Rechtsanwälte Prof. Dr. Leuering (Flick Gocke Schaumburg) und Dr. Daniel Rubner (Görg) zutreffend: „Eine wegweisende Entscheidung des OLG Nürnberg, die für alle unternehmerisch tätigen Gesellschaften große Bedeutung hat!“ (NJW-Spezial 2022, 367).
Die Aussagen des OLG, die sich auf die Schaffung von Compliance-Strukturen zur Überwachung von Mitarbeitern und dabei insbesondere auf die „Wahrung des Vier-Augen-Prinzips für schadensträchtige Tätigkeiten“ (Leitsatz Nr. 3) beziehen, sind auch wegweisend für Verhandlungen von sämtlichen Projekten, die für das Unternehmen „schadensträchtig“ sein können.
Dies bedeutet umgekehrt: Ein Verhandlungskonzept, das in Bezug auf das Vier-Augen-Prinzip den Anforderungen des OLG Nürnberg nicht genügt, kann zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers in unbegrenzter Höhe führen.
In diesem Beitrag wird Folgendes skizziert:
Erstens: Geschäftsführer müssen ein Compliance Management System einrichten.
Zweitens: Dabei gilt für alle „schadensträchtigen“ Projekte das Vier-Augen-Prinzip.
Drittens: Die Nicht-Einführung des Vier-Augen-Prinzips kann eine unbegrenzte Haftung des Geschäftsführers zur Folge haben.
Viertens: Das Vier-Augen-Prinzip wird nun auch zum neuen Standard bei der Verhandlungsführung.
Fünftens: So installieren Sie das Vier-Augen-Prinzip in Ihren Verhandlungen, um Ihre persönliche Haftung zu minimieren.
Erstens: Geschäftsführer müssen ein Compliance Management System einrichten
Es entspricht der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns“, dass der Geschäftsführer „wie ein selbständiger, treuhänderischer Verwalter fremden Vermögens“ (Rz. 75 der OLG Entscheidung) handelt. Dabei muss der Geschäftsführer ein Compliance Management System einrichten (Rz. 19). Eine Verletzung dieser Pflicht liegt schon dann vor, „wenn durch unzureichende Organisation, Anleitung bzw. Kontrolle Mitarbeitern der Gesellschaft … Fehlhandlungen ermöglicht oder auch nur erleichtert werden“ (Rz. 79). Der Geschäftsführer kann Überwachungspflichten natürlich delegieren, dennoch bleibt die Oberaufsicht des Geschäftsführers eine „unübertragbare Kernpflicht“ (Rz. 82).
Zweitens: Das Vier-Augen-Prinzip ist in Bezug auf alle schadensträchtigen Projekte anzuwenden
Das OLG Nürnberg führt zum Vier-Augen-Prinzip wörtlich aus: „Das Vier-Augen-Prinzip (englisch two-man rule) ist in der Organisationslehre eine präventive Kontrolle, bei der bestimmte Ablaufabschnitte, Arbeitsabläufe, Arbeitsprozesse, Arbeitsvorgänge, Aufgaben, Entscheidungen, Handlungen oder Prozesse nur durch gleichlautende Entscheidungen von mindestens zwei Personen durchgeführt werden dürfen. Ziel des Vier-Augen-Prinzips ist es, das Risiko von Fehlern und Missbrauch zu reduzieren. Die Vier-Augen-Kontrolle ist branchenübergreifend bei einer Vielzahl von unternehmensinternen Arbeitsprozessen zu finden, die als kritisch gewertet werden. Kritisch sind Prozesse immer dann, wenn sie bei einer nicht ordnungsgemäßen Durchführung Personenschäden oder erhebliche finanzielle Auswirkungen zur Folge haben können“ (Rz. 104, Hervorhebungen d.d. Autor).
Das OLG hat sich auch nicht davon beeindrucken lassen, dass der Geschäftsführer keine geeignete Person zur Überwachung gefunden hat: „soweit aus diesem Grund eine Überwachung nicht delegiert werden konnte, hätte der Bekl. (gemeint ist der beklagte Geschäftsführer) selbst die notwendigen Überwachungstätigkeiten durchführen müssen“ (Rz. 106).
Unabhängig davon, ob ein „Prozess“ (also z.B. auch ein Verhandlungsprojekt) „kritisch“ ist, wird nach dem oben zitierten Leitsatz Nr. 3 des Urteils hinsichtlich der Erforderlichkeit des Vier-Augen-Prinzips nur darauf abgestellt, ob die Tätigkeit (also z.B. das Verhandeln eines Projekts) „schadensträchtig“ ist. Allein diese „Schadensträchtigkeit“ ist das Kernkriterium, nach dem sich bestimmt, ob das Vier-Augen-Prinzip eingeführt werden muss, oder nicht.
Drittens: Die Verletzung der Überwachungspflicht führt zur persönlichen Haftung
Das OLG stellt schließlich im konkreten Fall fest, dass die Verletzung der Einrichtung eines effektiven Compliance Management Systems (hier Verzicht auf das Vier-Augen-Prinzip) für den Geschäftsführer zu einer persönlichen Haftung i.H.v. EUR 788.933,31 führt (Rz. 112). In Rz. 118 stellt das OLG Nürnberg fest, dass die Kausalität der Pflichtverletzungen des Geschäftsführers offensichtlich ist und ergänzt: „Bei Wahrung des Vier-Augen-Prinzips wäre das Handeln des Mitarbeiters H von vorneherein aufgefallen und unterbunden worden, damit nicht möglich gewesen.“
Das „Handeln“ bestand hier darin, dass ein Mitarbeiter das Überschreiten von Kreditlimits durch Kunden duldete und zu diesem Zweck (lange Zeit unentdeckt) die Software manipulierte.
Viertens: Das Vier-Augen-Prinzip als Standard in der Verhandlungsführung
Die Entscheidung des OLG Nürnberg hat unmittelbare Auswirkung auf die ordnungsgemäße Organisation Ihrer Verhandlungen.
Nachdem das Vier-Augen-Prinzip für alle „Aufgaben, Entscheidungen, Handlungen oder Prozesse“ gilt, die „schadensträchtig“ sind, muss sich jeder Geschäftsführer in Bezug auf jedes zu verhandelnde Projekt zunächst fragen, ob dieses Projekt „schadensträchtig“ ist. Wenn dies der Fall ist, muss er das Vier-Augen-Prinzip in Bezug auf die Verhandlungen einführen, ansonsten nicht.
In der Praxis hilft dem Geschäftsführer das Kriterium „schadensträchtig“ jedoch nicht sehr viel weiter.
Für den Geschäftsführer ist nämlich heute (ex ante Sicht) nicht absehbar ist, in welchen Fällen ein Gericht später (ex post Sicht) ein Projekt als „schadensträchtig“ einstuft.
Insbesondere muss der Geschäftsführer davon ausgehen, dass ein Gericht – nachdem ein Schaden tatsächlich eingetreten ist – davon ausgeht, dass das Projekt auch aus ex ante Sicht (also vor Eintritt des Schadens) „schadensträchtig“ war. Dies ist der sog. „Rückschaufehler“ (hindsight bias), der gerade im Rahmen der Managerhaftung eine große Bedeutung hat (vgl. z.B. Risse, NJW 2018, 2848 ff.) und sich für Manager in Haftungsprozessen nachteilig auswirkt.
Der sorgfältige Geschäftsführer hat in Bezug auf Verhandlungen nur eine Wahl, wenn er das Risiko der persönlichen und unbegrenzten Haftung auf ein Minimum reduzieren will: Er muss das Vier-Augen-Prinzip in Bezug auf alle Verhandlungen installieren und durchführen, die nicht offensichtlich belanglos sind.
Das Vier-Augen-Prinzip wird so für den vorsichtigen Geschäftsführer durch das wegweisende Urteil des OLG Nürnberg zum neuen Standard in Bezug auf alle Verhandlungen, die ein Unternehmen in Bezug auf Projekte führt bzw. führen lässt, die im weitesten Sinne „schadensträchtig“ sind.
Fünftens: So installieren Sie das Vier-Augen-Prinzip in Ihre Verhandlungen
Wenn Sie als Geschäftsführer zu dem Ergebnis gekommen sind, dass ein zu verhandelndes Projekt „schadensträchtig“ sein kann (bzw. nicht offensichtlich belanglos ist), sollten Sie das Vier-Augen-Prinzip installieren, um eine unbegrenzte persönliche Haftung zu vermeiden. Dies erfordert mindestens die folgenden 3 Schritte („Mindest-Standard“):
Schritt Nr. 1: Stellen Sie ein Team auf (vgl. z.B. So erkennen Sie einen professionellen Verhandlungsführer )
Als Geschäftsführer sind Sie der ultimative Decision Maker und verhandeln nicht selbst (wichtige Regel der Profis: „the boss does not negotiate“). Sie entscheiden zunächst, wen Sie für Ihr Projekt-Team benötigen.
Auf jeden Fall benötigen Sie einen Verhandlungsführer, also eine Person, die die Best Practice der Verhandlungsführung beherrscht. Dies ist häufig ein Manager des Unternehmens (z.B. Projekt Manager).
Schritt Nr. 2: Bestimmen Sie Ihre Positionen für die Verhandlung
Bestimmen Sie alle (vertraglichen) Positionen, die sie in dem Projekt wirklich durchsetzen wollen, also Ihre „Ziel-Positionen“. Optimieren Sie danach diese Ziel-Positionen, um so einen Verhandlungsspielraum zu kreieren. Mit diesen optimierten Ziel-Positionen („Start-Positionen“) geht der Verhandlungsführer (z.B. Projekt Manager) im wahrsten Sinne des Wortes an den Start.
Schritt Nr. 3: Erteilen Sie Ihrem Verhandlungsführer einen konkreten Auftrag
Nun geben Sie als Geschäftsführer Ihrem Projekt Manager u.a. den Auftrag, die Verhandlungen professionell zu führen, d.h. Ihr Auftrag lautet kurz und präzise: „Learn“, „Bargain“, „Report Back“.
Der Verhandlungsführer soll also verstehen, was die andere Seite will (Learn), Ihre Positionen geltend machen (Bargain) und nach der Verhandlung an Sie im Detail berichten (Report Back).
Aufgrund des Reportings können Sie den Verhandlungsführer – in Erfüllung Ihrer Pflichten zur Überwachung nach dem Vier-Augen-Prinzip – kontrollieren und verhindern, dass der Verhandlungsführer Positionen bzw. Entscheidungen kommuniziert, die nicht im Interesse des Unternehmens sind. Sie werden nach der Analyse des Reportings dem Verhandlungsführer einen neuen Auftrag betreffend die am Verhandlungstisch zu kommunizierenden Positionen erteilen.
Exakt diese Interaktion (Reporting fordern und neuen Auftrag erteilen) garantiert Ihnen die Durchsetzung des Vier-Augen-Prinzips, ein wichtiges Element der Compliance.
Sie verhindern also, dass am Verhandlungstisch Entscheidungen verkündet werden, die Sie nicht ausdrücklich freigegeben haben.
Diese Interaktion wird so lange fortgesetzt, bis Sie als Decision Maker den Auftrag erteilen, ein bestimmtes Verhandlungs-Paket zu vereinbaren oder die Verhandlungen abzubrechen.
Wenn Sie dann im Ergebnis den Vertrag unterzeichnen, können Sie erneut kontrollieren, ob der Inhalt des Vertrages mit Ihren Vorgaben übereinstimmt.
Je nach Größe des Unternehmens können Sie die Umsetzung des Vier-Augen-Prinzips natürlich delegieren, müssen dann aber den „Überwacher“ überwachen.
Auf jeden Fall sollten Sie die jeweiligen Aufträge bzw. das Reporting (z.B. durch E-Mails) dokumentieren.
Sechstens: Mindest-Standard versus Driver-Seat-Konzept
Die vorbezeichneten 3 Schritte (Learn, Bargain, Report Back) stellen nur den Mindest-Standard dar.
Wenn Sie ohnehin Ihre Verhandlungen strukturieren, bietet es sich an, nicht nur den Mindest-Standard zu installieren, sondern die Best Practice umzusetzen.
Folgt man der Best Practice, dann nimmt der Geschäftsführer nicht nur 3 Aufgaben wahr (Team, Positionen, Auftrag), sondern 7 Aufgaben, die im Driver-Seat-Konzept (das die Best Practice beschreibt) mit TOP LADY abgekürzt werden: Team, Optionen, Positionen, Learn, Adapt, Discuss, Your Instruction. Einzelheiten finden Sie in folgendem Beitrag: Nachverhandeln von Verträgen: Sieben Tipps
Dr. Hermann Rock
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Entwickler des Driver-Seat-Konzepts | Über 20 Jahre Verhandlungserfahrung „am Tisch“ | Autor mehrerer Fachbücher zum Thema „Professionelle Verhandlungsführung“
Kundenstimmen:
Dr. Christoph Mund
"Dr. Hermann Rock ist Dozent in unserem Change & Innovation Management Studiengang, welches die Universität St. Gallen in Kooperation mit Dr. Wladimir Klitschko jährlich durchführt. Im Rahmen des Programms lehrt Hermann das Thema Verhandlung. Unsere Führungskräfte sind jedes Jahr aufs Neue von seinem Erfahrungsschatz, praxisnahen Tipps und wissenschaftlichen Erkenntnisse begeistert. Die Kombination aus Best-Practice und anwendungsorientierten Fallbeispielen schafft für unsere Teilnehmer einen nachhaltigen Mehrwert im Transfer. Wir können Hermann als Referent bedingungslos weiterempfehlen und stehen für weitere Auskünfte sehr gerne zur Verfügung."
CA Prof. Dr. H.
"Ich war als Chefarzt sehr glücklich mit meinem Beruf, aber sehr unglücklich mit dem Gehalt. Dr. Hermann Rock hat mit unermesslicher Freundlichkeit, perfekter Systematik und absoluter Präzision die Verhandlungen mit dem Geschäftsführer geleitet. Das Interesse der Gegenseite war gering, aber Dr. Rock hat durch geschickten Strategiewechsel das Interesse geweckt, die Motivation enorm hochgefahren und das Zielgehalt für mich erreicht. Interessant war, dass er die Reaktionen der Gegenseite immer voraus gesagt hat und diese sind immer genau so auch eingetroffen. Ich bin ihm unendlich dankbar, weil ich jetzt mit Beruf und Gehalt zufrieden bin."